Samstag, 24. Januar 2009
 
„Zeitwende“ in Deutschland? PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Dieter Braeg   
Donnerstag, 17. Juli 2008

Bei den Herrenchiemsee-Festspielen vom 15. bis 27. Juli wird des deutschen Verfassungskonvents, der vor 60 Jahren tagte, gedacht. Festredner wird Bundesminister Wolfgang Schäuble sein. Seine Haltung zum Grundgesetz ist allerdings diskussionswürdig.

Am 10. August 1948 eröffnete der Leiter der bayerischen Staatskanzlei Anton Pfeiffer als geschäftsmäßiger Leiter den deutschen Verfassungskonvent, der bis zum 23. August 1948 im ehemaligen Augustiner-Chorherrenstift auf der Insel Herrenchiemsee im Zimmer Nr. 7 (ehemaliges Speisezimmer König Ludwig II.)  tagte.


Die „westlichen“ Bundesländer hatten je einen Experten delegiert, dazu kamen etwa zwanzig weitere Juristen, Politiker und Verwaltungsfachleute. Der Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung von Berlin, Otto Suhr, nahm als Gast teil. Nach einer einführenden Plenardebatte teilte sich das Gremium in drei Unterausschüsse und arbeitete einen Entwurf des Grundgesetzes aus – den „Chiemseer Entwurf“. Dieser war Grundlage der Beschlüsse zum Grundgesetz des Parlamentarischen Rates in Bonn. Zwei „Hauptgedanken“ aus diesem Entwurf seien hier zitiert:

Es gibt kein Volksbegehren. Einen Volksentscheid gibt es nur bei Änderungen des Grundgesetzes.

Eine Änderung des Grundgesetzes, durch die die freiheitliche und demokratische Grundordnung beseitigt würde, ist unzulässig.


Nun soll gefeiert werden, dort wo dies alles begann. Weil diese Tagung ein politischer Wendepunkt gewesen sei zwischen den Folgen der nationalsozialistischen Diktatur, des Zweiten Weltkriegs und dem Wachsen der ersten dauerhaft stabilen Demokratie auf deutschem Boden. Deswegen stehen die Herrenchiemsee-Festspiele 2008 unter dem Motto „Zweitwende“, das Programm beschäftigt sich, so die Veranstalter, vor allem mit Werken, in denen Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie Widerstand gegen Rassismus, Diktatur und Krieg zum Ausdruck kommen.


Ja und da bleibt es nicht aus, dass man auch einen Festredner braucht, der schon immer für die Abschaffung all jener Bürgerrechte gekämpft hat, derentwegen hier eigentlich nicht gefeiert, sondern protestiert werden müsste.


Es wird einen Festakt geben. Bei dem wird nicht der brutal abgeschobenen Frauen und Männer gedacht, die geknebelt und gefesselt dorthin zurück  geschickt wurden, wo ihr Leben so gefährlich war, dass sie flüchteten. Es wird auch nicht protestiert, dass das Grundgesetz seit seiner Gründung geschändet wurde durch Notstandsgesetze und Bürgerrechtsabbau- paragraphen und nun Bürgerin und Bürger bis in ihre Schlafzimmer hinein beobachtet werden sollen.
 

Die Festrede hält Bundesminister Wolfgang Schäuble beim Festakt am 20. Juli 2008 im Spiegelsaal des Schlosses. Es ist jener Herr, der im Jahre 1999 mit seiner Unterschriftenaktion gegen die Reform des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts die Ausländerfeindlichkeit schürte. Es ist jener, der ein „gesundes Nationalgefühl“ fordert und meint „Deutschland hat als Land in der Mitte des Kontinents, das zeigt auch die Geschichte des Heiligen Römischen Reiches, eine europäische Berufung.“ Diese „Berufung“ ließ ihn auch im Dezember 2005 fordern, Aussagen von Gefolterten bei der Ermittlungsarbeit der Sicherheitsbehörden zu verwenden. Diese Auffassung Schäubles wurde nicht nur von den Oppositionsparteien, sondern auch vom Koalitionspartner SPD abgelehnt, und sogar der damalige CSU-Generalsekretär Markus Söder sprach sich dagegen aus. Dass er das Grundgesetz ändern will, damit die Bundeswehr Sicherheitsaufgaben innerhalb der Landesgrenzen erledigen kann (etwa Abschuss von Zivilflugzeugen) gehört dazu – natürlich ohne den Volksentscheid, der auf Herrenchiemsee vorgeschlagen wurde.  


Schäuble hat auch zum Bundesverfassungsgericht eine Meinung – Verfassungsrichter seien nicht demokratisch legitimiert. Das Autobahnmautgesetz soll für Fahndungszwecke missbraucht werden. Online-Durchsuchung hat der Bundesgerichtshof zwar abgelehnt, trotzdem fordert Schäuble die Strafprozessordnung, das BKA-Gesetz, die Polizeigesetze der Länder entsprechend sowie den Artikel 13 im Grundgesetz, der die Unverletzlichkeit der Wohnung garantiert, zu ändern, um den so genannten „Bundestrojaner“ einzusetzen. Bei Schäuble ist jeder Anlass, ob G8-Gipfel oder Fußballweltmeisterschaft, eine Gefahr. Beim G8-Gipfel durch „gewaltbereite“ Globalisierungsgegnerinnen und Gegner und beim Fußball? Sind da die Schiedsrichter gefährdet, die nicht für Deutschland pfiffen?


Dieser Innenminister bezweifelt, dass die in der Bundesrepublik praktizierte Kontrolle der Geheimdienste sinnvoll ist. Man erweise "der Freiheit einen Bärendienst", wenn Geheimdienste anderer Länder die Zusammenarbeit mit den deutschen Geheimdiensten wegen der parlamentarischen Kontrolle einschränkten. Dem Mann bereitet auch „Schwierigkeiten“, dass ein Terrorist den gleichen Schutz des Grundgesetzes genießen soll wie jede andere Bürgerin oder Bürger.


Dieser Mann hält nun die Festrede und wird kein Wort darüber verlieren, dass dieses Grundgesetz keines mehr ist, und wenn er fertig ist mit seinen Lippenbewegungen, dann wird aufgespielt durch Enoch zu Guttenberg – Johannes Brahms’ „Schicksalslied“ op. 54 für Chor und Orchester und Anton Bruckners „Te Deum“ kann man hören.


Brahms und Bruckner hätten sicher gegen diesen Missbrauch ihrer Musik protestiert, aber sonst treffen sich dort alle, die dem Grundgesetz Knebel anlegten. Feiern die auch gleich die Einschränkung der Freiheitsrechte durch das neue CSU-Versammlungsverhinderungsgesetz zur Versammlungsfreiheitsabschaffung in Bayern?

Zeitwende?

< zurück   weiter >